Im Vertrieb hat sich 100 Jahre nichts verändert - oder doch?

10 Minuten Lesezeit

Laut manch altem Hasen aus dem Vertrieb funktioniert selbiger angeblich heute wie vor 100 Jahren. Verkäuferinstinkt müsse man haben, Erfahrung und natürlich den unbändigen Willen zum Abschluss. Und während sich die alten Silberrücken noch die Nackenhaare kämmen, haben die Jungen längst neue Wege eingeschlagen.

Was soll sich im Vertrieb schon ändern? Internet hin oder her, die grundsätzlichen Strukturen bleiben doch gleich und auch die Menschen haben sich in den letzten 50 Jahren nicht völlig verändert. Also, listen & repeat:

  1. Interessenten & Entscheider finden
  2. Anbieten & überzeugen 
  3. Verkaufen

Wichtig ist natürlich nicht nur von seinem Produkt überzeugt zu sein, sondern zu “spüren” wo Bedarf besteht - und wenn keiner besteht, muss man ihn halt erzeugen. Schließlich kauft niemand eine Bohrmaschine, wenn man Löcher kaufen könnte. Im Gespräch gilt es dann das Vertrauen zu gewinnen. Schließlich weiß der Sales-Profi, Menschen kaufen emotional, nicht bloß auf Basis von Fakten. Dann noch ein “ganz besonderes Angebot”, welches natürlich “nur heute” gilt und schwups unterschreibt der Kunde den Passierschein zu seinem Portemonnaie. Ja, wenn Vertrieb doch noch so einfach wäre.

Verkäufer bekommen die Kunden später zu Gesicht - oder gar nicht mehr

Während es vor 20 Jahren noch der Standard war, dass ein Kunde für ein Beratungsgespräch zum Händler ging, passiert dies heute im Netz. Die Chance zu einem persönlichen Gespräch mit dem Kunden bekommt nur noch, wer bereits vorher seine Hausaufgaben gemacht hat und an den relevanten Stellen mit einem professionellen Auftritt überzeugt. Neben der eigenen Website und je nach Produkt kann das von Social Media Plattformen über Online-Portale bis hin zu speziellen Branchenspezialisten (“influencer”) gehen, die ein Produkt oder Service im Netz empfehlen. Selbst bei recht unkritischen Konsumprodukten informieren sich Kunden heute vorher im Netz. Bei langfristigen Verträgen wirft heutzutage praktisch jeder mal die Suchmaschine an. Wenn dem Kunden die schlechte Reputation dort bereits entgegen kommt, muss man als Anbieter schon eine ziemliche Monopolstellung haben, um trotzdem noch die Chance zu bekommen beim Kunden sein Vertriebs-Know How anwenden zu können

Kunden sind heute besser informiert als mancher Verkäufer

Im Handel konnte man es besonders in den Jahren 2000-2010 wunderbar erleben. Während die Kunden zu Beginn der Nullerjahre nur die Informationen hatten, die ihnen die Hersteller zur Verfügung stellten, änderte sich das in der Folgezeit rasant. Niemand musste mehr ein spezielles Magazin der “Stiftung Warentest” besorgen. Tests, Vergleiche und Experteninterviews waren plötzlich nur einen Mausklick entfernt. Selbst komplexe B2B-Produkte und Dienstleistungen finden im Netz ihre Liebhaber und werden in Blogs und Foren lebhaft diskutiert. Potentielle Käufer greifen so nicht mehr nur auf geschönte Werbeinformationen zu, sondern auf persönliche Erfahrungswerte von Nutzern und Ihr oftmals ungeschminktes Feedback. Gerüstet mit derlei Informationen laufen Verkaufsgespräche dann etwas anders ab, das sollte man sich im Vertrieb vor Augen führen.

Prof. Dr. Ove Jensen von der Otto Beisheim School of Management formuliert es deutlich: "Im Vertrieb besteht die große Herausforderung darin, dass die Kunden über das Internet sehr gut über Produkte und Preise informiert sind. Die Anbieter müssen aufpassen, dass ihre Verkäufer über die reine Informations- und ,Postboten-Funktion‘ hinaus einen Beratungsmehrwert bieten. Sonst sind Verkäufer für den Kunden eher ‚lästig‘, und die Beschaffung erfolgt über das Internet.“ 

Die Anbieter müssen aufpassen, dass ihre Verkäufer über die reine Informations- und ,Postboten-Funktion‘ hinaus einen Beratungsmehrwert bieten. Sonst sind Verkäufer für den Kunden eher ‚lästig‘, und die Beschaffung erfolgt über das Internet.“ Prof. Dr. Ove Jensen, B2B Marketing und Vertrieb, Otto Beisheim School


Kunden haben fast immer Alternativen - und kennen die auch

In den besagten Nullerjahren war man als Verkäufer schon allein dadurch im Vorteil, dass man ein Produkt oder einen Service überhaupt anbieten konnte. Wohl wissend, dass die Suche eines alternativen Anbieters den Kunden einen gewissen Aufwand kosten würde, musste man schon einiges falsch machen, damit der Interessent nicht blieb. Heute kann der Kunde noch im Geschäft oder auf der Fachmesse auf dem Smartphone checken, ob ihm ein anderer Händler bessere Preise bietet. Gleiches gilt für Dienstleistungen: Sie suchen eine Designagentur für Ihren neuen Außenauftritt? Mussten Sie sich früher noch zwischen den dreien in Ihrer Stadt entscheiden, erstellen Sie heute in Minuten eine Ausschreibung im Netz und lassen Sie sich die Entwürfe als Download schicken. Distanzen spielen keine Rolle mehr und ein Wettbewerber ist nur einen Mausklick entfernt. Wer da nicht mit gewissen Extras punktet, ist schnell raus.

Prospekte verschicken und warten bis die Kunden kommen

Als ich im Einzelhandel anfing, konnte man die Uhr danach stellen: Freitags lag der Prospekt als Beilage in der Zeitung und spätestens am Samstag rannten die Kunden einem die Bude ein. Später im B2B-Vertrieb mussten es dann schon aufwendigere und personalisierte Broschüren sein und es wurden erste Anzeigen im Internet gebucht. Das Prinzip blieb aber gleich: Kunden reagierten unmittelbar auf Werbung. Das ist auch heute noch so, wenn man sich große TV-Kampagnen während des Super Bowl oder der Fußball WM leisten kann - für kleine oder mittelständische Firmen ist das jedoch völlig illusorisch. Kleinere und erschwingliche Werbekampagnen hingegen verlieren sich in einem völligen Overkill an Werbemaßnahmen, die täglich auf die Konsumenten hereinprasseln. Überall stehen Displays, Werbetafeln und blinkende Anzeigen. Jeder noch so kleine Fleck im öffentlichen Raum wie auch im Internet wird mit Werbung vollgekleistert. Im Privatfernsehen schaut man eher Werbung mit Filmunterbrechungen als andersherum und selbst der öffentlich rechtliche Rundfunk sendet die verbalen Attacken von Carglass und Seitenbacher. Die Folge: Werbetreibende schreien noch lauter, um Aufmerksamkeit zu bekommen und Konsumenten sind nur noch genervt oder völlig abgestumpft.

Im Privatfernsehen schaut man eher Werbung mit Filmunterbrechungen als andersherum und selbst der öffentlich rechtliche Rundfunk sendet die verbalen Attacken von Carglass und Seitenbacher.

Gezielte Werbung ist der Schlüssel

Aus Sicht des Marketings und des Vertriebs ist es offensichtlich: Je gezielter ich meine Kampagne ausarbeiten kann, desto wenige Streuverluste habe ich und desto höher ist meine Konversionsrate, sprich mein Return on Invest (ROI). Zudem erhöhe ich meine Chancen, auch bei meiner nächsten Aktion noch auf offene Augen und Ohren zu stoßen. Jeder Newsletter-Empfänger kennt es aus leidvoller Erfahrung. Sobald man drei E-Mails bekommen hat, die thematisch völlig an den eigenen Interessen vorbeigehen, geht der Klick auf “unsubscribe” sehr leicht von der Hand. Doch wie erreicht man genau diese Interessenten und potentiellen Kunden?

Die einen sehen den Weg darin, möglichst viel über den Kunden zu wissen und daraus nach Möglichkeit die richtigen Schlüsse zu ziehen. Dieser Big Data Ansatz ist jedoch erneut eher etwas für die großen Player wie Google oder Amazon, denn um statistisch valide arbeiten zu können, benötigt man nicht nur ausgeklügelte Mechanismen, sondern schier unendliche Mengen an Daten. Etwas kleiner und mit Googles Hilfe setzen heute viele auf SEM, Display- und Remarketing. So bekommen die Nutzer nur für solche Produkte Werbeanzeigen zu sehen, nach denen sie selbst im Netz gegoogelt oder deren Seiten sie besucht haben. Das macht die Ansprache in jedem Fall schon präziser, als die klassische Gieskannenmethode vergangener Tage.

Der andere, und für kleinere Unternehmen meines Erachtens erfolgversprechendere Weg, ist der, weniger klassisch zu werben, sondern stattdessen wertvolle Inhalte und Geschichten anzubieten.

Pull statt push, Story statt Slogan

Während das alte Marketing seine Botschaften auf potentielle Interessenten einbrüllte und Vertriebler mit “Hard Sales Methoden” wie verbissene Terrier die Käufer eher zu überrumpeln als zu überzeugen versuchten, geht der Weg moderner Startups eher über Inhalte. Spannende Stories und nützliche Inhalte sollen die Kunden förmlich auf die Seite der Produkte ziehen. 

In seinem Artikel "Digital Sales" beschreibt Markus Gschwind es follgendermaßen: "Gab es früher einen „Push-Effekt“, bei dem der Vertrieb den Impuls für den Informationsfluss vorgab, ist es heute genau umgekehrt. Der potenzielle Kunde entscheidet, wann er welche Informationen haben will und zu welchem Zeitpunkt er die Interaktion startet. Er initiiert so einen „Pull-Effekt“." 

Dies setzt jedoch ein Umdenken in praktisch allen Bereichen voraus. Erstens entwickeln sich interessante Inhalte nicht von selbst, d.h. als Unternehmen muss man zwingend kreativ werden und konstant Content zur Verfügung stellen. Das ist wesentlich mehr Arbeit, als einmal einen Slogan zu entwerfen und den tausendfach auf Plakate zu drucken. Zudem liefert das Unternehmen bestenfalls nicht nur Informationen rund um das Produkt oder die Branche, sondern auch eine schlüssige Geschichte, die immer wieder aufgegriffen werden kann. Kunden haben die Wahl zwischen oftmals technisch ähnlichen Produkten und kaufen dann nicht nur was man macht, sondern auch warum man es macht. Diese Botschaft lässt sich jedoch nur schwer als Leuchtschrift über der Firma anbringen, sondern muss immer wieder in kleineren Geschichten zum Tragen kommen. Moderne Vertriebler werden damit mehr und mehr “Geschichtenerzähler”.

Wenn man diese Geschichten jedoch erzählt, sei es auf der eigenen Website, auf Social Media Plattformen oder in Marketingaktionen vor Ort, dann begibt man sich zwangsläufig auf Augenhöhe mit den Kunden. D.h. es wird nicht nur Komplimente regnen, sondern auch mal Kritik. Eine offene Auseinandersetzung scheuen viele Unternehmen bis heute. Außerdem hat man durch das Anbieten von Inhalten weniger Zugriff auf die genaue Zielgruppe. Sicherlich kann man versuchen diese schlicht thematisch einzugrenzen, wer letztlich kommt, entscheidet jedoch der Konsument. Werbeanzeigen kann ich in bestimmten Regionen schalten oder online vielleicht auch für eine bestimmte Alters- oder Berufsgruppe. Wer letztlich auf meine Web- oder Facebook-Seite gelangt, liegt jedoch nicht mehr in meiner Hand.

Automation und Persönlichkeit gehen Hand in Hand

Als Saas-Anbieter sehen wir die Vorteile der digitalen Welt und den Wandel des Vertriebs täglich in unserem eigenen Geschäft (welches so vor 15 Jahren praktisch unmöglich gewesen wäre). Kunden kommen beispielsweise über einen Blog-Artikel auf unsere Website. Inspiriert durch die Inhalte registrieren sie sich vielleicht für unseren Sales-Newsletter oder liken unsere Facebook-Page. Irgendwann kommt der Moment, in dem sie vielleicht selbst eine CRM-Software benötigen und dann denken sie an uns. Auf unserer Website erstellen sie sich einen Test-Account und erhalten die ersten (automatisierten) E-Mails, um ihnen den Einstieg zu erleichtern (Onboarding). Nach der Testphase bekommen sie eine weitere Mail mit der Bitte um ihre Zahlungsdaten. Die Kunden hinterlegen ihre Rechnungsdaten und nutzen von nun an kostenpflichtig das Produkt. Bis zu diesem Moment gab es in vielen Fällen keinen persönlichen Kontakt.

Dann jedoch kommt der Kunde an seine technischen Grenzen und benötigt Hilfe mit unserer Software. Er kontaktiert uns über das Hilfe-System oder telefonisch und hier antwortet dann kein Bot und keine Warteschleife, sondern ein Mensch. Diese Person muss jedoch nichts verkaufen, sondern nimmt ausnahmslos eine beratende Position ein und bietet eine Hilfestellung.

Es gab also ganz sicher eine Entwicklung im Vertrieb: Moderne Vertriebler sind Berater mit hohem Fachwissen und sprechen mit ihrem Gegenüber auf Augenhöhe. Anstatt auf Druck und Ellenbogen setzen sie lieber auf Team-Arbeit, Einfühlungsvermögen und vor allem eine smarte, meist digitale Vorarbeit. Oder wie hat es mein Altgeselle immer so schön formuliert: Viel denken, wenig arbeiten.

Dann klappt es auch mit den Kunden von heute.

von Sven Sester über Vertrieb
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