Die schlechte Nachricht zuerst: Wir überschätzen uns in vielerlei Hinsicht. Ob es um unsere Ideen, unsere selbst gestalteten Werke oder unsere Pläne geht - oft halten wir sie für besser, als sie mit nüchternen Augen betrachtet tatsächlich sind.
Die gute Nachricht: So schlimm ist das gar nicht. Ein gewisses Maß an Selbstsicherheit und Optimismus gehört schließlich dazu und wer nicht an sich selbst glaubt, der braucht es auf einem freien Markt erst gar nicht zu versuchen. Und trotzdem gilt, dass zu viel des Guten nie gut ist.
Daniel Kahneman schreibt in seinem Bestseller “Schnelles Denken, langsames Denken” von diesen Fällen der Selbstüberschätzung. Wir beschäftigen uns in diesem Artikel damit, um auf typische Fehler aufmerksam machen, die wir alle im Hinblick auf die Selbstüberschätzung begehen, sodass wir beim nächsten Mal etwas achtsamer mit unseren Urteilen, Plänen und Einschätzungen umgehen.
Die Illusion des Verstehens - “Ich hab´s doch die ganze Zeit gewusst!”
Wir Menschen sind so gestrickt, dass wir gerne eine Erklärung für alles haben möchten. Wir möchten Gründe dafür finden können, wieso eine Sache genau so passiert ist und nicht anders - der Zufall reicht uns als zufriedenstellende Erklärung nicht aus.
Wenn wir in die Vergangenheit blicken denken wir, sie verstehen zu können. Wir überlegen uns sinnvolle Zusammenhänge und Gründe, weshalb das eine so und das andere in der Folge dann so eingetreten ist. Dadurch macht im Rückblick alles Sinn und das gibt uns ein gutes Gefühl der Kontrolle. Dabei vergessen wir zu häufig, dass der Zufall jedoch eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, auch wenn uns das gar nicht gut gefällt.
Diese Illusion führt in der Folge dazu, dass wir nicht nur denken, die Vergangenheit erklären zu können - nein, wir denken auch, wir könnten die Zukunft vorhersagen. Und das kann zu bedeutenden Fehlern führen.
Der daraus resultierende sogenannte Rückschaufehler ist besonders wichtig und interessant, wenn es um die Frage nach der Schuld an einem Ereignis geht. Oft entsteht der Eindruck, man hätte ein Ereignis kommen sehen können - im Extremfall zum Beispiel bei Terroranschlägen, Amokläufen oder Flugzeugabstürzen. Im Endeffekt wird ermittelt, was man wusste - und so erscheint im Nachhinein ein Ereignis vorhersagbar, weil man die Umstände so interpretiert, als hätten sie das eingetretene Ereignis angekündigt. Dann kommt von Außen in Richtung der “Verantwortlichen” oft zusammen mit der Frage nach der Schuld der Vorwurf, dass sie es hätten vorhersehen können. Dass das in der Rückschau einfach ist, im Vorhinein aber wahnsinnig schwierig, wird nicht bedacht. Denn unsere Welt ist längst nicht so vorhersagbar, wie wie uns das vielleicht lieb wäre.
“Dir kann passieren, was will. Es gibt immer einen, der es kommen sah.”
Kompetenzillusion - Vertraue (k)einem Experten
Die Illusion, die Welt verstehen und Ereignisse vorhersagen zu können, trifft insbesondere auf Experten zu. Sie kennen die Interviews im Fernsehen, die mit “Experten” jeglicher Art zu allen denkbaren Themen gemacht werden und man stellt ihnen die Frage, wie sich der Aktienkurs X oder die Debatte Y wohl weiterentwickeln wird. Dazu haben sie natürlich viel zu sagen, die traurige Wahrheit lautet aber: ihre Trefferquoten sind nicht besser als die von Schimpansen, die mit Pfeilen auf eine Dartscheibe werfen.
Klar, Glückstreffer gibt es immer, aber unsere Welt ist so veränderlich und so komplex, dass es schier unmöglich ist, sichere Prognosen über die Zukunft anzustellen.
Aber auch wenn wir wissen, dass die Prognosen der Experten nicht gültig sind, dann wollen wir uns auf die verlassen. Es gibt uns ein gutes Gefühl der Kontrolle und der Beherrschbarkeit, wenn ein Experte die zukünftige Entwicklung eines Unternehmens vorhersagt. Experten suggerieren Sicherheit - umgekehrt müsste man sich die eigene Unkenntnis eingestehen und es ist gesellschaftlich schlicht nicht annehmbar, wenn jemand dafür bezahlt wird, sich “gut auszukennen” und das im Endeffekt gar nicht tut. Natürlich haben Experten ein riesiges Wissen auf ihrem Gebiet. Für sichere Prognosen oder eine zutreffende Expertenintuition muss der Experte jedoch eine jahrelange Übung in seinem Gebiet haben und es braucht eine ausreichend regelmäßige Welt - in der wir aber nicht leben.
Die Moral von der Geschicht´: Experten machen genauso Fehler in ihren Prognosen wie alle anderen auch. Sie überschätzen sich womöglich in ihrer Treffsicherheit und auch wir überschätzen oft deren Kompetenz. Das sollten wir bedenken, wenn das nächste Experteninterview im TV läuft.
Eine weitere Form der Selbstüberschätzung hat ihren Namen von einem bekannten schwedischen Möbelhaus:
Der Ikea-Effekt - Die Liebe zum Selbstgemachten
Das Prinzip von Ikea kennen wir alle: in der Ausstellung die Möbel aussuchen, im Lager die einzelnen Pakete zusammensammeln, nach Hause fahren und - selber Aufbauen, yeah! Das Ikea-Konzept ist nicht nur schnell, praktisch und günstig. Dass es so gut funktioniert, hat noch einen weiteren wichtigen Grund, der deshalb als “Ikea-Effekt” bezeichnet wird: Wir haben nämlich gerne einen eigenen Anteil an der Fertigstellung eines Produkts und betrachten Dinge mit liebevolleren Augen, wenn wir sie selbst gemacht haben.
Der Aufwand, den wir betreiben, um selbst etwas zu basteln oder zusammenzubauen, kann die Qualität dieser Sache ersetzen, da daraufhin der emotionale Wert steigt, den wir dem Objekt zusprechen. Denken Sie zum Beispiel an das typische Ikea-Regal. Die Qualität ist nicht die Beste, aber Sie haben sich Mühe gegeben, die Anleitung zu verstehen, es zusammenzuschrauben und aufzubauen - deshalb werden sie ihm einen höheren Wert zusprechen, als es objektiv gesehen vielleicht verdient hätte.
Das erklärt auch das Prinzip einiger Spielsachen für Kinder: die unzähligen Teile eines Playmobil-Hauses sind nicht nur aus Platzgründen in vielen kleinen Tütchen verteilt. Der wohl wichtigere Grund liegt in der Tatsache, dass die Liebe zum Objekt gesteigert wird, wenn man es selbst aufbaut, und nicht schon fertig vor die Nase gestellt bekommt.
Wichtig beim “Ikea-Effekt” ist, dass das Werk vollendet wird und dass es weder zu leicht, noch zu schwierig ist. Trifft Letzteres zu, dann verlieren wir die Lust daran; ist eine Sache zu einfach, hat die Liebe zum selbstgemachten Objekt gar keine Chance, sich zu entwickeln. Ein schönes Beispiel dafür sind Fertig-Backmischungen. Es gab eine Zeit, in der in den Mischungen Trockenei enthalten war - man musste also fast nichts mehr selbst machen, um den Kuchen zu “backen”. In dieser Zeit haben sich die Backmischungen sehr schlecht verkauft. Dann haben die Hersteller beschlossen, das Trockenei aus der Mischung wegzulassen, sodass man selbst frische Eier hinzugeben musste - und die Verkaufszahlen gingen wieder nach oben. Das Ei scheint nur eine Kleinigkeit zu sein, es zeigt aber eindrucksvoll, welch große Auswirkungen der “Ikea-Effekt” im Alltag hat und dass Unternehmen ihn im Hinterkopf behalten sollten.
Aber Vorsicht! Nur weil man persönlich eine selbstgemachte Sache toll findet, heißt das nicht, dass alle anderen das genauso sehen. Allerdings erwarten wir genau das. Haben Sie nicht auch schon einmal wunderschöne selbstgestrickte Socken von Großmama zu Weihnachten geschenkt bekommen, die sie selbst in den höchsten Tönen gelobt hat, über die Sie sich aber nur mit einem sehr aufgesetzten Lächeln freuen konnten? Jetzt wissen Sie wieso. Großmama hat sich Mühe gegeben und durch das Stricken eine emotionale Bindung dazu entwickelt - Sie nicht.
Wenn es um eigen-produzierte Dinge geht, müssen Sie also Folgendes bedenken, egal auf welcher Seite des Verkaufstresens Sie sich befinden: Wer etwas verkaufen möchte, das er selbst produziert hat, wird vermutlich einen höheren Preis dafür verlangen, als andere zu zahlen bereit sind.
Not-Invented-Here-Syndrom - Meine Ideen sind die Besten
Ein anderer wichtiger Effekt, der mit der Selbstüberschätzung zu tun hat und uns in den Unternehmen dieser Welt fast täglich begegnet, ist das “Not-Invented-Here-Syndrom”, das kurz gesagt bedeutet: Wenn die Idee nicht von mir stammt, dann ist sie schlecht. Genau wie beim Ikea-Effekt liegt der Kern dieses Syndroms in der Tatsache, dass wir gern einen eigenen Anteil an einer Sache haben und sie mehr wertschätzen, wenn wir etwas dazu beigetragen haben.
Aus dem Not-Invented-Here-Syndrom folgt, dass wir unsere eigenen Ideen oft überschätzen, während wir die Ideen der anderen unterschätzen. Das hat natürlich positive Seiten: So sind beispielsweise Mitarbeiter motivierter, wenn Sie ihre eigenen Ideen einbringen dürfen, die sie persönlich gut finden und die sie sich gern einsetzen. Und natürlich sollen Unternehmen an ihre Ideen und Projekte glauben!
Auf der anderen Seite ist es jedoch auch wichtig, den Blick für die Konkurrenz nicht zu verlieren. Wer zu sehr an seinen eigenen Visionen klammert und denkt, dass die anderen sowieso alles schlechter machen, der läuft Gefahr, irgendwann von diesen abgehängt zu werden und die weite Sicht auf die Dinge zu verlieren. Außerdem kann ein Konkurrenzkampf zwischen den Mitarbeitern entstehen, wenn sie sich zu stark auf ihre eigenen Ideen konzentrieren und diese durchsetzen wollen, anstatt im Team zusammenzuarbeiten.
So lautet die Implikation aus dem Not-Invented-Here-Syndrom: Betrachten Sie Ihre eigenen Ideen mit ein bisschen Abstand, fragen Sie bei einem Außenstehenden nach Feedback und geben Sie den Ideen der anderen eine Chance - vielleicht sind sie gar nicht so schlecht, auch wenn sie nicht von Ihnen selbst stammen.
Achtung, Manipulationsgefahr!
Das Not-Invented-Here-Syndrom birgt einige Ansätze zur Manipulation. Es ist mit genug Geschick und Gewieftheit möglich, dem Kunden, den Kollegen oder dem Chef die eigenen Ideen durch Suggestivfragen “einzupflanzen”, sodass sie in der Folge eher dahinterstehen, weil sie denken, es seien ihre eigenen Ideen.
Die beste Medizin sich davor zu schützen ist es, die zugrundeliegenden Effekte zu kennen und sich darüber bewusst zu sein, dass einem die eigenen Ideen grundsätzlich mehr bedeuten als die der anderen - und dass es Leute gibt, die das Wissen darüber ausnutzen.
Wie man die negativen Effekte der Selbstüberschätzung vermeidet
Wir haben Ihnen in diesem Artikel einige wissenschaftlich belegte Phänomene aus der Psychologie gezeigt, bei denen die Selbstüberschätzung zu negativen Konsequenzen führen kann. Um das zu vermeiden, gibt es hier noch ein paar Tipps:
Wer mit einem tollen Team zusammenarbeitet, in dem bei einem Projekt am Anfang alles viel besser läuft als erwartet, vermag den Eindruck zu gewinnen, dass in Zukunft ebenfalls alles weiterlaufen wird wie geschmiert. Dabei vergisst man zu gern die “unbekannten Unbekannten”, also die unerwarteten Krankheitsfälle, die bürokratischen Hürden und alle anderen kleinen Problemchen, die im Laufe der Zeit noch auftauchen können und das Projekt verzögern.
Prä-mortem-Methode
Um einen realistischen Blick auf das Projekt zu behalten und sich selbst vor den unverhofften Verzögerungen zu schützen, hilft die Prä-mortem-Methode. Dabei setzen Sie sich vor dem Start eines Projekts mit Ihrem Team zusammen und bearbeiten die folgende Aufgabe: “Stellen Sie sich vor, wir befinden uns ein Jahr in der Zukunft. Wir haben den Plan in seiner jetzigen Fassung umgesetzt. Das Ergebnis war eine Katastrophe. Nehmen Sie sich bitte fünf bis zehn Minuten Zeit, um eine kurze Geschichte dieser Katastrophe zu schreiben.” (Kahneman S. 327)
Diese kleinen Geschichten sollen das Team alles andere als demotivieren - sie sollen vielmehr einen Blick auf die möglichen Lücken des Plans richten, um sich dieser bewusst zu werden und um sie in Zukunft vermeiden zu können, weil das (mögliche) Negative oft durch die Euphorie für die tollen eigenen Ideen in Vergessenheit gerät.
Innensicht vs. Außensicht
Eine zweite Möglichkeit ist es, einen erweiterten Blick auf die Dinge einzunehmen und nicht nur auf das eigene Team zu schauen. Wenn Sie einschätzen sollen, wie lange Ihr Team wohl für die Fertigstellung eines Projekts braucht, bei dem bisher alles einwandfrei läuft, werden Sie die benötigte Zeit vermutlich unterschätzen, weil es schwerfällt sich vorzustellen, was noch schief gehen kann, wenn es bisher so gut läuft. Das ist die Innensicht - also der Blick auf Ihr Team und Ihre individuellen Gegebenheiten.
Um sich selbst nicht zu überschätzen und mögliche Fehler mit einzukalkulieren empfiehlt es sich, die Außensicht einzunehmen - also einen Blick auf andere Teams zu werfen, die eine vergleichbare Aufgabe hatten und sich anzuschauen, wie lange diese dafür gebraucht haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie eine ähnlich lange Zeit brauchen werden, ist recht hoch. Mit der Außensicht und dem Vergleich vermeiden Sie, sich nur auf die eigenen Aufgaben zu fokussieren und das Gefühl für den Rest zu verlieren. Natürlich sollten Sie sich gleichzeitig auch nicht zu sehr auf die anderen konzentrieren, aber ein gelegentlicher Blick nach rechts und nach links zur Konkurrenz hat noch niemandem geschadet.
Wir sind nun am Ende unserer Serie “Psychologie für KMU” angekommen. Alle Phänomene, die wir hier aufgegriffen haben, stammen aus Daniel Kahnemans Bestseller “Schnelles Denken, langsames Denken”. Kahneman schreibt darin sehr anschaulich, unterhaltsam und mit vielen praktischen Beispielen über zahlreiche weitere spannende Themen, die sowohl für den privaten Alltag, als auch auf der Arbeit sehr nützlich sind, um uns selbst und unsere Entscheidungen besser zu verstehen und Fehler zu vermeiden.
“Schnelles Denken, langsames Denken” ist absolut lesenswert und lehrreich!
In unserer Serie Psychologie für KMU sind außerdem diese Artikel erschienen:
- Zwei Systeme, mit denen wir denken: System 1 und System 2
- Priming und kognitive Leichtigkeit
- Der Halo-Effekt
- Der Ankereffekt
- Klarer Fall von Selbstüberschätzung?