Meistens sage ich Nein. Nein, wenn ein Kunde fragt, ob wir eine bestimmte Funktion in unsere Software einbauen können. Wir nennen das „Produktentwicklung mit Haltung“ - oder: „Opinionated Software“.
„Der Kunde ist König“ heißt es. Und „wer auf den Kunden hört, entwickelt das richtige Produkt“.
„Aber weiß ‘der Kunde’ überhaupt, was er will, geschweige denn, was gut für ihn ist?“, fragte Wolf Lotter schon vor einigen Jahren in seinem Leitartikel des Brandeins-Magazins.
Dazu führt er ein Zitat an, welches man Henry Ford zuspricht:
"Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollten, hätten sie schnellere Pferde gesagt"
"Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollten, hätten sie schnellere Pferde gesagt"
Henry Ford war mit seiner Strategie stattdessen Autos zu bauen zweifelsohne sehr erfolgreich. Bis 1918 waren die Hälfte der Wagen auf amerikanischen Straßen Ford-T-Modelle.
Aber degradiert die Ford’sche Haltung den Kunden nicht zum völligen Konsumidioten? Ist das die Denke eines Alpha-Männchens, welches seine „Hier wird gegessen, was auf den Tisch kommt“ Attitüde auslebt und glaubt, es für alle besser zu wissen? Diesen Typ Mensch hatte man doch in Zeiten von Demokratie und Web 2.0 längst in die Mottenkiste gepackt.
Ja und nein.
Besserwisser vs. Ja-Sager
Wenn wir unsere CRM-Software entwickeln, haben wir dabei vor allem zwei Punkte vor Augen:
- Unsere eigene Erfahrung mit einer Software, deren Entwickler immer „Ja“ gesagt haben
- Die Probleme unserer Kunden (nicht deren Lösungsvorschläge)
1. Die „Kann-alles-Software“
Als Geschäftsführer einer Unternehmensberatung arbeitete ich vor einigen Jahren viel mit studentischen Mitarbeitern, die ihr Praxissemester bei uns absolvierten. Damit die verfügbaren sechs Monate bestmöglich genutzt werden konnten, mussten die Kolleginnen und Kollegen also im Rekordtempo eingearbeitet werden.
Unser damaliges Kundenmanagement-System war jedoch ohnehin schon komplex und zusätzlich über die Jahre dermaßen verbastelt, dass es zwangsläufig zu Fehlern kam, seitens der Anwender und seitens der Technik.
Die Software hielt den Betrieb eher auf, als ihn zu unterstützen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Mitarbeiter begannen „ihr eigenes System“ zu nutzen und sich Excel-Tabellen, Ordner und persönliche Ablagetechniken etablierten. Die CRM-Software war ein großes Datengrab geworden.
2. Die Probleme der Kunden
Kunden schreiben uns täglich, dass sie eine bestimmte Funktion, die es bestenfalls schon bei Wettbewerber XY gibt, UNBEDINGT brauchen.
Die spannende Frage ist dann nicht „warum“, sondern: Was ist Ihr Problem? Beschreiben Sie mal.
Diese Gegenfrage verhindert, dass man sich bereits von Beginn an auf eine „Lösung“ reduziert, die oftmals vom Kunden gar nicht zu Ende gedacht ist. Sei es, weil ihm das technische Verständnis fehlt oder die Erfahrung.
Und letztere zeigt, in einem technisch komplexen Umfeld, wie Software es nun mal ist (und sei sie auch noch so einfach zu bedienen), ist es nahezu unmöglich, an einer Stelle Änderungen durchzuführen, die nicht auch an anderer Stelle Konsequenzen haben. Diese zu bedenken, ist genau unser Job.
Hinzu kommt, gehört werden oft jene, die am lautesten schreien, nicht die Mehrheit.
Jedes Feature, jeder Button, der nicht ständig genutzt wird, ist aus unserer Sicht einer zu viel. Er macht die Software langsam und unübersichtlich. Für einen Anbieter von einfacher Standard-Software ein klassischer Fall von „auf die Falschen gehört“.
Der oben bereits zitierte Wolf Lotter schreibt dazu: „99 Prozent laufen mit. Aber weil eben nur ein Prozent kommuniziert – und das mit voller Lautstärke – werden auch nur die wahrgenommen. [...] Die Interessen derer, die sich engagieren, werden für die Interessen aller gehalten. Das ist beim Bürger so und natürlich auch beim Kunden.“
Doch wie entwickelt man nicht „am Kunden vorbei“?
Release early, release often …
... and listen to your customers.
Unser Ansatz lautet: Wir hören durchaus auf Kunden und schauen, was Sie benötigen, um Ihren Job gut machen zu können. Wenn wir ein Problem identifizieren, entwickeln wir jedoch zunächst einmal unsere eigene Lösung.
Dabei feilen wir nicht bis zur Perfektion oder produzieren den vollen Umfang. Wir veröffentlichen es, sobald wir den Eindruck haben, es ist gut genug, um Nutzern einen Mehrwert zu bieten (ein sogenanntes Minimum Viable Product (MVP), um ein bisschen Startup-Englisch zu bemühen).
Dieses Vorgehen ist gar nicht so leicht und risikolos in Zeiten von permanenten Online-Bewertungen. Unzählige Ein-Stern-Ratings bei Amazon oder im App-Store wegen eines Mangels und die Version 2 wird nie das Tageslicht erblicken. Für unsere CRM-Software funktioniert es aber sehr gut.
Im Zuge der nächsten Wochen sprechen wir dann immer wieder mit Usern und holen uns Feedback ein, um die Kundensicht nicht aus den Augen zu verlieren. Zum Teil testen wir live und schauen unerfahrenen Usern bei der Nutzung über die Schulter. Sukzessive verbessern wir dann unser Produkt.
Auf die Perspektive kommt es an
Zentral ist bei dieser Herangehensweise letztlich, dass man auf Augenhöhe mit seinen Kunden spricht.
Kunden sind keine Schafe und auch keine billigen Beta-Tester, sondern der Grund, weshalb wir uns morgens ins Büro bewegen.
Es gilt den Sweet Spot zu finden aus Anleitung und Annehmen, aus Expertise und der Adaption aus der Lebenswelt der Kunden.
Wäre Henry Ford auch so vorgegangen, hätten ihm die Leute vielleicht geantwortet, dass sie eine Möglichkeit suchen, um schnell und zuverlässig von A nach B zu gelangen.
Ein Auto anzubieten, wäre nach wie vor seinem Pioniergeist vorbehalten geblieben, denn das Finden der Lösung auf den Kunden abzuwälzen, funktioniert eben nicht. Der ist schließlich König und kein Diener.