5 Minuten Lesezeit

Komplexität im Vertrieb: Weniger anbieten - mehr verkaufen

Ich muss gestehen, ich gehe gerne zum Discounter. Ob Nord oder Süd ist mir egal. Die Preise sind mir dabei sicher nicht unwichtig, aber doch zumindest zweitrangig.

Was mir gefällt? Sie haben so wenig Auswahl.

Oder genauer: Sie haben eine überschaubare Auswahl und ich kann mir bei allen Produkten sicher sein, preislich sind sie fair.

Zwei mentale Herausforderungen fallen damit für mich weg. Ich muss mich weder zwischen ähnlichen Produkten entscheiden (es gibt nur eine Sorte Spülmaschinentabs), noch muss ich Sorge haben, woanders erheblich günstiger kaufen zu können.

Was für eine Erleichterung!

Das Schöne ist: bei Produkten, bei denen ich sehr gerne etwas Auswahl habe und eine Entscheidung vergleichsweise einfach zu treffen ist, gibt es dann auch ein (etwas) breiteres Sortiment. Käse zum Beispiel.

Das Risiko daneben zu liegen, ist überschaubar und sollte er nicht schmecken, wähle ich beim nächsten Wocheneinkauf einfach einen anderen

Jetzt verkaufen wir selbst aber keinen Käse, sondern Software. Und Software ist komplex, egal wie man es dreht und wendet.

Wo entsteht die Komplexität?

Ich stelle fest, Komplexität im Vertrieb entsteht durch:

  1. die Menge der Angebote
  2. deren Präsentation
  3. ein komplexes Produkt 

Facebook würde sagen, es ist kompliziert. Verkäufer nennen es lieber „erklärungsbedürftig“

“Learning to choose is hard. Learning to choose well is harder. And learning to choose well in a world of unlimited possibilities is harder still, perhaps too hard.” - Barry Schwartz

Dieses psychologisch vielfach untersuchte Phänomen nennt Barry Schwartz „The paradox of choice“. 

Die Anzahl der Angebote und deren Präsentation

Welche Auswirkung die schiere Anzahl der Angebote auf den Verkaufserfolg hat, hat die New Yorker Professorin Sheena Iyengar untersucht in ihrem „Marmeladenexperiment“. Auf zwei Versuchstischen wurden Marmeladen angeboten. Auf dem ersten Tisch waren es sechs, auf dem zweiten 24 Sorten. Während sich deutlich mehr Kunden um den Tisch mit den 24 Sorten drängten, um zu probieren, kauften letztlich mehr Kunden an dem Tisch mit den sechs Marmeladen.

Hätte sie die 24 Marmeladen noch über ein ganzes Regal mit Brotaufstrichen verteilt und zusätzlich noch diverse weitere Produkte mit integriert, wäre das Ergebnis vermutlich noch deutlicher ausgefallen. Zumindest im übertragenen Sinne sehen aber genau so die Webseiten vieler Unternehmen und Shops aus. Es gibt praktisch alles, aber sich zu entscheiden, fällt schwer.

Nicht nur, weil man „das Richtige“ vielleicht nicht findet, sondern auch, weil man als Kunde permanent das Gefühl behält, es könnte potenziell noch etwas Besseres geben, was man vielleicht übersieht.

Das Produkt ist komplex

Den dritten Punkt hat Prof. Dr. Jan Wieseke von der Ruhr-Universität Bochum untersucht. Das Ergebnis:

Je mehr Komplexität, desto mehr ist der Kunde erschöpft.

So weit, so klar, aber viel problematischer:

Eine Entscheidung muss der Kunde trotzdem treffen und sich dafür zwingend mit dem Produkt beschäftigen. Die Frustration bleibt also und diese Kunden empfehlen das Unternehmen nach dem Abschluss seltener weiter und/oder wechseln in Zukunft den Anbieter.

Sollen wir deshalb jetzt alle zum Discounter werden? Wohl kaum. Aber wie den frustrierten Kunden Herr werden, wenn man mehr als jungen, mittelalten und alten Käse verkaufen möchte?

Die Lösung des Problems

Prof. Wieseke gibt durchaus hilfreiche Ratschläge, wie etwa herauszufinden, ob der Kunde überfordert ist (Vorwissen abfragen, im Gespräch auf Signale von Müdigkeit achten, etc.). Oder das passende Info-Material für jeden Kunden zu liefern (z.B. eine Übersichtslektüre in einfacher Sprache für die Anfänger, technische Details für Fachleute und Analytik-Fans).

Aber: Da wir eine reine Online-Software verkaufen, sprechen wir bei CentralStationCRM erst sehr spät im Vertriebsprozess wirklich Face to Face mit unseren Kunden. Das mag an unserem Geschäftsmodell liegen, erscheint mir aber in der Welt des Internets aus der Hosentasche immer üblicher. Kunden sind bereits grundsätzlich informiert, bevor überhaupt ein erster persönlicher Kontakt stattfindet.

Das heißt für uns, wir müssen früher ansetzen. Viel früher. Beim Produkt.

Wir haben uns bewusst entschieden, unsere Software, aber auch unsere internen Abläufe so einfach und gleichzeitig eigenverantwortlich wie möglich zu gestalten.

Das macht es uns einfach, im Marketing oder im direkten Gespräch mit den Kunden leicht verständlich zu kommunizieren.

Und wenn es doch mal komplizierter wird? Heraus-zoomen und das Thema erst einmal grundsätzlich verorten. Wenn Menschen das Gefühl haben, das Grundprinzip erst einmal verstanden zu haben, tun Details plötzlich gar nicht mehr so weh. Man arbeitet sich quasi Abstraktions-Level für Level ins Eingemachte.

In der Praxis heißt das für uns, beispielsweise Produkte auf unserer Website erst einmal oberflächlich, aber in ihrem Grundprinzip und für Laien verständlich zu erläutern, anstatt die Kunden nur mit innovativ erscheinenden Buzzwords zu ködern.

Auch versuchen wir, stets nicht nur das „Wie“, sondern vor allem das „Warum“ zu erklären. Denn ist das einmal verstanden, werden auch viele weitere Entscheidungen des Produkt-Designs nachvollziehbar (auch wenn sie nicht gefallen).

Was ebenfalls hilft: Bündeln

Für 50 Kunden wären 50 individuelle Preismodelle sicherlich für den jeweiligen Einzelfall am attraktivsten. Aber wer würde die alle im Einzelnen vergleichen wollen? Eben. Fünf Paketpreise mit gesunder Mischkalkulation erfüllen ihren Zweck und machen allen Seiten das Leben leichter.

Fazit

Es lohnt sich, auszumisten!

Brauchen Sie wirklich alle Produkte (oder Dienstleistungen) in Ihrem Sortiment oder lässt es sich zuspitzen?

Müssen Sie immer alle Informationen unterbringen, auf Ihrer Website, in Ihren Beschreibungen, in Ihrem Marketing-Material?

Muss das Produkt wirklich so viele Kunden bedienen oder lässt sich die Zielgruppe eingrenzen und infolgedessen vielleicht das Produkt als solches vereinfachen?

KISS, keep it simple, stupid.

Komplexität im Vertrieb zu reduzieren, hilft allen Beteiligten. Der Verkäufer tut sich leichter in der Präsentation und der Kunde in seiner Entscheidung.

Im Zweifelsfall überlegen Sie das nächste Mal bei Ihrem Lieblingsitaliener kurz, warum Sie immer wieder lieber dort essen würden, als in einem Restaurant mit asiatischen Frühlingsrollen, Wiener Schnitzel UND Pizza auf der Speisekarte.

Oder Sie gehen mal wieder zum Discounter. Einkaufen kann so einfach sein.

Wo fühlen Sie sich genervt oder frustriert durch zu viel Komplexität? Oder wo haben Sie einen Weg gefunden, damit umzugehen? Schreiben Sie es mir, gerne auch in die Kommentare.

Ihr Sven von CentralStationCRM


Autor
Sven Sester